4. Oktober 2011

Loslassen können


Das Kämpfen ist mir bestimmt schon mit in die Wiege gelegt worden. Anstatt planmäßig am 11. meines Geburtsmonats einen Blick auf das Leben außerhalb meiner Höhle zu werfen, habe ich so lange hin und her überlegt, bis dass ich letztendlich mit Kaiserschnitt am 23. meines Geburtsmonats in diese Welt befördert worden bin. Und das Kämpfen ging als Kind dann weiter. Da mein Bruder eineinhalb Jahre nach mir geboren wurde, musste ich mich oft hinten anstellen, weil ja mein Bruder Mittelpunkt war. Mein Vater hat sich in Mutters Erziehung "nicht eingemischt" und so war ich in ganz jungen Jahren schon oft gezwungen, mich selbst um mich zu sorgen. Das ist mir in dem Alter gar nicht bewusst gewesen, hat aber meines Erachtens die Grundlage dafür gelegt, dass ich schon immer gekämpft habe und zu kämpfen wusste. Oftmals habe ich viel zu lange gekämpft und auch nicht immer erfolgreich.

In meiner Jugend war es daher für mich selbstverständlich, mich auf vielen Gebieten einzubringen und "für eine bessere Welt" zu kämpfen - schulpolitisch, friedenspolitisch, gewerkschaftspolitisch, kulturpolitisch, studentenpolitisch, parteipolitisch. Dieses Übermaß an "-politisch" führte dazu, dass ich den Kernbereich alles Politischen - nämlich funktionierende, dauerhafte und loyale zwischenmenschliche Freundschaften - vernachlässigt habe. Hätte ich zu jener Zeit schon meine heutigen Lebenserfahrungen gehabt, wären mit Sicherheit Freundschaften der Schwerpunkt meines Arbeiten und Kämpfens gewesen. Heute mangelt es daran, und Welt ist heute schlimmer als sie es zu meiner Jugend war. Der Spruch Früher war alles besser ist für mich kein Spruch, sondern gelebte Erfahrung.

Und bis heute habe ich keinen Weg für mich gefunden, von meinen Kämpfen los- und mich auf Entspannung einzulassen:

Trotz zwanzigjähriger intensiver Bemühungen um meinen Wiedereinstieg ins Berufsleben musste ich diesen Kampf nach außen hin Anfang dieses Jahres aufgeben. Im Inneren habe ich noch nicht loslassen können, weil es mich maßlos schmerzt, so viel gekämpft und nur verloren zu haben. Ich muss mich von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und damit ein ganzes Stück von mir selbst verabschieden. Eine persönliche und charakterliche Spaltung, die ich nicht umsetzen kann und auch nicht umsetzen will, weil ich dann nicht mehr der Mensch wäre, der ich bin.

Auch möchte ich sehr gerne mein langjähriges Single-Sein loslassen. Doch das ist nicht nur aus finanziellen Gründen sehr schwer, sondern auch aus altersmäßigen Gründen. Ich habe sehr viele Lebenserfahrungen gemacht und machen müssen - Viele davon möchte ich gerne bewahren und von Vielen loslassen. So entspannt wie in früheren Jahren gehe ich heute nicht mehr mit Menschen um. Kann man den Umgang mit den Menschen verlernen?

Ich würde schon längst seit vielen Jahren unter einer Brücke wohnen, wenn ich nicht eine Jugend haben durfte, die mich bewusstes Leben und auch Kämpfen gelehrt hat. Beides zusammen genommen und miteinander verbunden haben mir die Stärke und Kraft gegeben, nach zwanzig überwiegend arbeitslosen Jahren und (zu) vielen Jahren des Single-Seins immer noch - wenn auch oft mehr schlecht als recht - zu leben.

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