15. März 2009

Arbeit und Arbeitslosigkeit sind Geschwister


Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Onkel und Tante, Yin und Yang, gut und böse, heiß und kalt, süß und sauer sind Begriffe, die wir ganz selbstverständlich als zusammen gehörig empfinden und betrachten, weil sie sich gegenseitig bedingen und miteinander verwoben sind. Bei den Begriffen Arbeit und Arbeitslosigkeit stellt sich das schon anders da:

Arbeit und Arbeitslosigkeit bedingen einander sehr stark und bestimmen unser Leben in sehr weitreichendem Maß - entweder wir sind arbeitslos oder wir arbeiten. Nicht ohne Grund ist eine der Standardfragen bei einer Kontaktaufnahme Was machst Du beruflich? und nur selten Wie fühlst Du Dich im Augenblick? Wir bestimmen uns in sehr starkem Maße - ob bewusst oder unbewusst sei an dieser Stelle dahin gestellt - über unsere eigene berufliche Stellung und die berufliche Stellung der Menschen, mit denen wir in Verbindung stehen. Menschen mit (sozialversicherungspflichtiger) Arbeit nennen wir Berufstätige und Menschen ohne eine solche Arbeit Arbeitslose. Warum diese Unterscheidung? Warum wird Arbeitslosigkeit nicht mit Arbeit auf eine Stufe gestellt - juristisch, politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich?

Politisch werden diese Bereiche schon allein durch unterschiedliche Gesetzeswerke geregelt. Für die Arbeitnehmer gilt das Arbeitsrecht und für Arbeitslose das Sozialgesetzbuch. Das Arbeitsrecht konnte meines Wissens durch Arbeitskämpfe in einigen Bereichen verbessert werden. Die Sozialgesetze - und hier insbesondere das SGB II, dem Hartz IV-Betroffene unterliegen - werden sogar noch verschlechtert. An dieser Stelle möchte ich nur darauf aufmerksam machen, dass die Vorlage von Kontoauszügen bis zum 31.12.2008 nur bei begründetem Verdacht verlangt werden konnte, den die ARGE nachzuweisen hatte. Seit Anfang des Jahres darf jeder Hartz IV-Betroffene ohne Nachweis unter Betrugsverdacht gestellt werden und muss unter Androhung von Leistungskürzungen seine Kontoauszüge vorlegen.

Diese politisch-juristisch gewollte Zweiteilung in die "guten" Arbeitnehmer und die "bösen" Arbeitslosen hat nach dem schon immer erfolgreichen Leitsatz der Mächtigen in Wirtschaft und Politik Teile und herrsche auch Auswirkungen auf das Denken großer Bevölkerungskreise. Für sehr viele Menschen ist ein von Hartz IV betroffener Mensch ein Mensch, von dem man lieber Abstand nimmt. Ausgesprochene und unausgesprochene Sätze wie "Mit dir kann man ohnehin nichts unternehmen", "Ich will niemanden mit durchfüttern" oder "Ich habe keine Probleme mit Deiner Arbeitslosigkeit, aber . . . " sind keine Seltenheit. Und ich weiß, wovon ich rede, weil ich seit achtzehn Jahren unverschuldet arbeitslos bin und mit 58 Jahren wohl nur noch eine Arbeit finden werde, wenn ich zuvor die berühmte Stecknadel im Heuhaufen finde.

Leider wird diese Trennung in die (noch) Beschäftigten auf der einen und die Arbeitslosen auf der anderen Seite auch von großen Teilen der Gewerkschaften umgesetzt. Ich will das am Beispiel der gewerkschaftlichen Tarifkämpfe belegen: Es gibt ausschließlich die Forderungen nach mehr Geld und firmen- bzw. brancheneigenen Verbesserungen für die Mitglieder auf der einen Seite, aber nie Forderungen für die "Kolleginnen und Kollegen" auf der anderen Seite beispielsweise nach höheren Regelsätzen, Aufhebung von Zwangsmaßnahmen und Leistungskürzungen. Auch wenn das persönliche Leben und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ohne Geld unmöglich sind, so ist Geld doch nicht Alles! Gemeinsam gelebte Solidarität macht das Leben in jeder Hinsicht leichter bzw. erträglicher.

Wo sind nun die gemeinsamen Schnittstellen der Lebensumstände von Beschäftigten und Arbeitslosen - wo können beide Gruppen gemeinsam arbeiten und kämpfen (und natürlich auch feiern)?
  • Die Gewerkschaften als größte Vertretung der arbeitenden Menschen - und dazu gehören wie ausgeführt auch die Arbeitslosen - müssen diese Gemeinsamkeit nicht nur in der Theorie erkennen, sondern auch in der Praxis. Die Gewerkschaftsführungen auf allen Ebenen müssen das gemeinsame Arbeiten und Kämpfen in jeglicher Hinsicht unterstützen und gfs. anstoßen.
  • Die gesundheitlichen Auswirkungen auf beide Gruppen sind enorm und beweisen allein schon in diesem lebenswichtigen Bereich, dass Arbeitslose und Beschäftigte in ein- und demselben Boot sitzen und ein- und demselben Sturm trotzen müssen, der sich sonst zu einem Orkan auswächst, der sich gar nicht mehr in seine sozialverantwortlichen Schranken weisen lässt.
  • Wenn ich den gesamtgesellschaftlichen Rahmen berücksichtige, so zeigt die Thematik Sozialabbau meines Erachtens glasklar, das Beschäftigte und Arbeitslose - ebenso wie Hausfrauen, Rentner und alle anderen Bevölkerungsgruppen - in dem schon genannten Boot sitzen und sich solidarisch und schöpferisch zusammen"raufen" müssen, wenn sie verhindern wollen, dass einige aus dem Boot fallen und hoffnungslos untergehen.
  • Zudem muss das Boot ganz schön groß sein, um auch noch Platz für Gruppen wie die Erwerbslosengruppen, Friedensinitiativen, Umweltgruppen, attac und Einzelmenschen zu bieten. Und je größer das Boot ist, um so stabiler ist es und kann letztendlich auch den stärksten Sturm zwingen, nur noch ein verträglicher Wind zu sein.
Gesellschaftliche Änderungen sind am Besten zu erkämpfen, wenn ein Großteil der Bevölkerung dahinter steht. Darum ist es meiner festen Überzeugung nach eine unabdingbare Voraussetzung, alle unsere Aktivitäten in professioneller Weise öffentlichkeitswirksam zu begleiten, indem wir sie regional und überregional den Menschen nahe bringen. Professionelle Öffentlichkeitsarbeit ist kein "Nebenprodukt" der politischen Arbeit und des politischen Kampfes, sondern unabdingbar für den kurz-, mittel- und langfristigen Erfolg.

1 Kommentar:

  1. Lieber Gerhard. Artikel finde ich sehr gut und verständlich! Kann Dir nur beipflichten. Alles Liebe aus der Schweiz, Gruss jonas

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