18. Juni 2011

Die Geschwindigkeit der Zeit

In meiner Jugend hatte ich mehr Zeit als heute, obwohl auch damals der Tag genau wie heute 24 Stunden hatte. Den ganzen Tag über "hatte ich zu tun" und nie das Gefühl, ich hätte zu wenig Zeit. Im Grunde ein Stück unlogisch, weil doch die Zeit schneller vergeht, je mehr ich "zu tun" habe. Es spielt bestimmt auch eine Rolle, dass ich mir seinerzeit keine Gedanken darüber gemacht habe, ob die Zeit nun schnell, langsam oder gar nicht vergeht. Zwar habe ich auch schon in meiner Jugend bewusst gelebt, aber die Zeit spielte für mich – und ich denke auch für meine gleichaltrigen Mitmenschen – kaum eine Rolle.

Mit meinem 40. Geburtstag (also vor zwanzig Jahren) spürte ich einen Lebenseinschnitt, den ich nicht erklären kann. Damit einher ging auch mein verändertes Gefühl für meine Zeit, die schneller wurde. Heute habe ich oft das Gefühl, ich müsse noch unheimlich viel tun und nachholen, weil mir die Zeit davon läuft. Ob es damit zusammen hängt, dass meine Fähigkeiten, mich selbst und meine Umwelt tiefgreifender als in meiner Jugend wahr zu nehmen, weiß ich nicht zu beurteilen. Vielleicht ist es einfach so und es wäre besser, es so anzunehmen. Das fällt mir jedoch mitunter schwer, weil ich immer wieder denke Das kann es doch noch nicht sein. Dieses Denken und Fühlen führe ich oft auf meine unverschuldete Langzeitarbeitslosigkeit zurück, glaube aber nicht, dass das eine zutreffende Erklärung ist, weil viele noch Beschäftigte genau so denken und fühlen, weil sie ihre Arbeit nicht gerne, unter Druck und oft zu einem Menschen verachtend geringen Gehalt machen.

Ich weiß nicht, ob es schon zu allen Zeiten so war, dass die Zeit im Alter schneller vergeht als in der Jugend. Für unser Heute spielt aus meiner Sicht eine bedeutende Rolle, dass der Leistungsdruck – sowohl der aufgezwungene wie der selbst auferlegte – immer stärker und dauerhafter werden. Diesem Druck unterliegen wir alle, ob arbeitslos oder nicht, weil wir in derselben Welt leben.

Ich würde lügen, würde ich behaupten, ich trauere meiner Vergangenheit nicht nach – zumindest in Teilen denke, fühle und weiß ich, dass meine Jugend von mehr Miteinander, mehr gegenseitigem Vertrauen, mehr Loyalität und mehr menschlicher Wärme geprägt war. Heute spüre ich viel Kälte, Ablehnung und soziale Ausgrenzung. Daran ändert auch nichts, dass ich sehr oft selbst die Initiative ergreife.

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