7. März 2010

Lebensmitte


Wenn ich mal weiterhin davon ausgehe, dass ich mein Lebensziel von etwa 120 Jahren erreichen will, bewege ich mich zur Zeit genau in der Mitte meines Lebens und frage mich: Soll ich zurück schauen? Soll ich in die Zukunft schauen?

Der Blick zurück ist sehr zwiespältig: Meine Jugend war sehr lehrreich und hat mir das Gerüst für meinen heutigen Optimismus gegeben. Ohne diesen Optimismus, diese Zuversicht hätte ich mich bestimmt schon vor Jahren aufgegeben. Doch konnte ich diesen Gedanken schon immer denken, weil ich weiß, dass ich ihn nicht in die Tat umsetzen werde. Gerade meine letzten zwei Jahrzehnten gaben und geben so manches Mal dazu Anlass, mein Leben an den Nagel zu hängen. Doch trotz aller großen und kleinen Steine, die ich und andere mir in den Weg gelegt haben, lebe ich immer noch gerne (immerhin halte ich nach wie vor trotz aller intellektuellen Bedenken an meinem Lebensziel von etwa 120 Jahren fest).

Der Blick nach vorne ist mit vielen Ängsten gepflastert: Werde ich - nach aktuellem Stand Mitte dieses Jahres - wieder beruflich und damit finanziell Fuß fassen und somit entspannter leben können? Oder werde ich mich über meine Rente hinaus auf ein Leben in Armut einrichten müssen? Wie wird sich mein zwischenmenschliches Umfeld entwickeln? Werde ich es festigen können? Wird es unter mir weg brechen?

Da ich natürlicherweise auch wesentlich eher sterben kann, mache ich mir manches Mal Gedanken über meinen Tod. In meinem ganzen Leben habe ich (glücklicherweise?) erst zwei Todesfälle im nahen Umkreis erlebt: Als mein Onkel dreißig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges an einer Kriegsverletzung starb, war ich zwar traurig, jedoch auch schnell wieder in meinem Leben. Als mein Vater vor fast elf Jahren starb, war ich zu sehr mit der schlimmsten Krise meines eigenen Lebens beschäftigt, als dass ich hätte trauern können. Heute denke ich oft wehmütig an meinen Vater, den ich im Grunde nie richtig gekannt habe. Es ist meiner biologischen Familie innewohnend, dass mit Gefühlen grundsätzlich nie offen umgegangen wurde - bis heute und daran wird sich auch nichts ändern. Zu meinem Bruder habe ich aus Selbstschutz schon seit einigen Jahren den Kontakt vollkommen abgebrochen, zu meiner Schwester besteht er noch auf Sparflamme. Und meiner Mutter - sie ist jetzt 86 - will ich endlich mal verzeihen. Das würde mir leichter fallen, wenn ich mir selbst auch mehr verzeihen und auch in Taten annehmen könnte, dass sie trotz allem einen ruhigen Lebensabend verdient hat. Letztendlich hat sie es wohl tatsächlich "gut gemeint", aber es aus ihrer eigenen Erfahrungswelt nicht besser zu leben gewusst.

Wie werde ich sterben? Ich bin froh, dass ich es heute nicht weiß und nicht wissen will. Ein langsamer Tod würde sowohl mich wie meine "Sterbebegleitung" sehr fordern, weil ich mir im Heute nicht vorstellen kann, dass ich fähig sein werde, mein Leben los zu lassen. Ich möchte sehr gerne abends einschlafen und morgens tot "aufwachen". Allein diese widersprüchliche Wortverbindung, die mir spontan eingefallen ist, zeigt schon meinen Willen, noch eine ganze Menge von Jahren zu leben und leben zu wollen.

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